Was Sie über Impfungen wissen müssen
In Bezug auf die Frage „Wodurch werden in der Medizin die meisten Menschenleben gerettet?“ würden sicherlich viele an Herzkatheter-Untersuchungen, Defibrillator, Antibiotika oder Ähnliches denken. Aber es ist anders: Weltweit werden die meisten Menschenleben durch Impfungen gerettet. Im Interview äußert sich Amtsarzt Prof. Dr. Stefan Dhein zu den wichtigsten Fragen, gibt Hinweise und erklärt die Zusammenhänge.
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Wie ist die Situation hierzulande? Was sind die häufigsten Krankheiten, gegen die Impfungen helfen?
Kinderlähmung (Poliomyelitis) ist heute dank der Impfungen selten geworden, aber die Älteren kennen den Schrecken noch. Tetanus (Wundstarrkrampf) ist eine zum Tode führende Wundinfektion, die man sich durch verschmutzte Wunden – auch ganz einfache Schürfwunden – zuziehen kann. Diphtherie war eine sehr gefürchtete Infektionskrankheit, bei der die Erreger einen Giftstoff produzieren, der das Herz schädigt.
Das letzte Jahr hat eindrücklich gezeigt, wie gefährlich Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps, Röteln und Windpocken sein können. Vor allem, wenn Erwachsene betroffen sind. Einerseits kommt es durch die Infektion zu einer Immunschwäche, die wiederum bakterielle Infektionen wie Mittelohrentzündung, Lungenentzündung, Bronchitis oder auch eine akute postinfektiöse Enzephalitis (Gehirnentzündung; 0,1% der Erkrankten) begünstigt. Nach den Masern kann es auch zu einer sogenannten subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE) kommen (bis zu 8 Jahre danach) – eine sehr seltene Spätkomplikation. Aber immerhin 4-11 Erwachsene bzw. 20-60 Kinder von 100.000 Masernerkrankungen leiden darunter. Die SSPE endet in der Regel tödlich.
Dann wäre da noch die Grippe, auch Influenza genannt. Laut Statistik sterben bundesweit jährlich etwa 7.000 bis 14.000 Menschen an den Folgen einer Influenza. Die Grippe ist allerdings nicht zu verwechseln mit den weit harmloseren „grippalen Infektionen“ oder Erkältungskrankheiten. Deshalb empfehle ich grundsätzlich jedem, der nicht allergisch auf den Impfstoff reagiert, sich jährlich gegen die Grippe impfen zu lassen.
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Wie gefährlich sind die Erkrankungen, die durch Impfungen verhindert werden?
Neben den eben genannten Gefahren hilft ein Blick in die Vergangenheit: 1918/19 hat die „spanische“ Grippe weltweit 20 Millionen Todesopfer gefordert - in etwa doppelt so viele wie der erste Weltkrieg. Die Masern zeigen eine Letalität (Tote pro Erkrankte) von etwa einem Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das: Weltweit sterben nach den Angaben der WHO jedes Jahr etwa 150.000 bis 200.000 Menschen an Masern.
1916 begann die erste große Polio-Epidemie in den USA, am schlimmsten in New York City mit 27.000 Fällen, die bekannt wurden und 6.000 Toten. Ein berühmter Patient mit dieser Erkrankung war der spätere amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt.
In Deutschland war die letzte große Poliomyelitis Epidemie 1952/53 mit über 15.000 gemeldeten paralytischen (Lähmungs-)Fällen.
1998 starben nach Angaben der WHO weltweit 410.000 Menschen an Tetanus. 2006 starben „nur“ 290.000 Menschen an Tetanus, woran der Erfolg der Impfungen deutlich wird. Wichtig ist vor allem, auch im Erwachsenenalter diese Impfungen weiter durchzuführen, damit die Zahlen nicht wieder ansteigen.
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Sind die Erkrankungen, gegen die geimpft wird, auch anders behandelbar?
In der Regel nicht. Masern, Mumps und Röteln sind Erkrankungen durch Viren, gegen die es kaum wirksame Mittel gibt. Ebenso sind die medikamentöse Behandlung von Influenza mit Oseltamivir und Zanamivir sehr begrenzt – vor allem wenn die Infektion ausgebrochen ist.
Gegen die Kinderlähmung (Poliomyelitis) - ebenfalls eine virale Erkrankung die bei zehn Prozent der Infizierten zu bleibenden Lähmungen führt - gibt es keine wirksamen Medikamente. Bei der Diphtherie handelt sich um eine durch Bakterien ausgelöste Erkrankung, bei der im Infektionsfall die Betroffenen isoliert werden müssen, Antibiotika erhalten und Antitoxin vom Pferd erhalten sowie oft auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Auch der Wundstarrkrampf (Tetanus) wird durch Bakterien verursacht, die ein Gift produzieren. Ein ausgebrochener Tetanus führt unbehandelt immer zum Tod. Mit intensivmedizinischen Maßnahmen und Medikamenten (Antitoxine) kann die Todesrate auf etwa 15-20 Prozent gesenkt werden.
Kurz gesagt: Es handelt sich um gefährliche Erkrankungen, die kaum oder gar nicht anders behandelbar sind.
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Sind Impfungen gefährlich?
Grundsätzlich nicht. Es werden entweder abgetötete Erreger oder Toxine und in einigen Fällen auch lebende, aber abgeschwächte Erreger (z. B. Masern) verwendet. Diese lösen dann eine Abwehrreaktion des Körpers aus, in Folge werden dann Antikörper gebildet, sodass eine echte Infektion mit dem Erreger nicht mehr möglich ist. Um dies zu erreichen, muss die Impfung meist zwei oder drei Mal in genauen zeitlichen Abständen durchgeführt werden. Danach ist entweder ein lebenslanger Schutz (z. B. Masern, Mumps, Röteln, Hepatitis B) oder ein langjähriger Schutz (ca. 10 Jahre: z. B. Tetanus, Diphtherie, Poliomyelitis) gegeben. Manchmal – wie im Fall der Frühsommermeningoencephalitis (FSME; durch Zecken übertragene Hirnhautentzündung; fünf Jahre) oder der Influenza (ein Jahr) fällt der Schutz auch kürzer aus. In diesen Abständen muss dann die Impfung aufgefrischt werden.
Die meisten Impfungen werden gut vertragen. Manchmal kommt es zu einer leichten Rötung und Schwellung an der Einstichstelle, die unter Umständen auch etwas druckschmerzhaft ist, was aber nach ein bis drei Tagen wieder verschwindet. Durch die Abwehrreaktion kann es auch dazu kommen, dass leichtes Fieber und Unwohlsein auftritt – so als wäre eine Erkältung im Anmarsch. Das sind normale Reaktionen des Körpers, die anzeigen, dass die Impfung angeht und erfolgreich ist.
Sehr selten kommt es zu schwereren Komplikationen, womit in etwa ein bis zwei Fällen bei einer Million Impfungen zu rechnen ist. Da Impfschäden meldepflichtig sind, gibt es eine Übersicht zur Häufigkeit. Im Jahr 2009 gab es bundesweit insgesamt 38 Impfschäden, das heißt 0.046 Fälle pro 100.000 Einwohner. Nimmt man diese Zahl und hält sie den Risiken der Erkrankung gegenüber, so erkennt man leicht, dass die Erkrankungen ein wesentlich höheres Risiko (viele Tausend Mal höher) darstellen.
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Wie viele Menschen müssen geimpft sein, damit Ungeimpfte sich nicht anstecken?
Wenn ein Mensch nicht geimpft werden kann, weil er zum Beispiel den Impfstoff nicht verträgt, dann müssen in seiner direkten Umgebung alle und in seiner weiteren Umgebung – je nach Erkrankung und ihrem Übertragungsweg – zwischen 85 und 95 Prozent aller anderen Menschen geimpft sein, damit es unwahrscheinlich ist, dass er sich überhaupt noch anstecken kann.
Das heißt: Die Impfung schützt nicht nur uns selbst. Mit der Impfung helfen wir auch anderen.
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Wann wird was geimpft?
Diese Frage stellen sich zumeist die Eltern eines neugeborenen Kindes. Aber auch später ist die Frage wegen der Auffrischungen wichtig. Wird ein Kind gestillt, erhält es über die Muttermilch auch bestimmte Antikörper und einen gewissen Schutz. Allerdings muss das Kind vorbereitet werden, damit es beim Abstillen gegen die Erkrankungen schon immun ist. Das ist – kurz und vereinfacht gesagt – der Grund, warum bereits im Alter von zwei Monaten begonnen wird, zu impfen. Damit die Zahl der notwendigen Stiche so gering wie möglich ist, gibt es heute Kombinationsimpfstoffe wie zum Beispiel den Totimpfstoff gegen die sechs Infektionen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae (ein Bakterium, welches nicht Grippe sondern Lungen- oder Hirnhautentzündungen verursacht), Poliomyelitis und Hepatitis B. Lebendimpfstoffe werden erst etwas später injiziert, wenn das Immunsystem des Körpers schon etwas weiter ausgereift ist – in etwa nach 11 Monaten (z. B. Masern, Mumps, Windpocken, Röteln). Daraus ergibt sich der öffentlich empfohlene Impfplan, wobei G die Grundimmunisierungen meint und A die späteren Auffrischungsimpfungen.