Uwe Melzer: „Vernünftig sein, damit die Lage nicht außer Kontrolle gerät“
Altenburg. Blieb der Landkreis Altenburger Land seit Beginn der Coronavirus-Pandemie im März weitestgehend von nennenswerten Infektionen verschont, so zählt er seit gut zwei Wochen zu den Corona-Risikogebieten in Deutschland. Die Zahl der Neuinfektionen stieg binnen weniger Tage erheblich an. Über die aktuelle Situation im Kreis und in der Kreisverwaltung sprach Amtsblatt-Redakteurin Jana Fuchs mit Landrat Uwe Melzer.
Herr Melzer, gibt es eine Erklärung für diesen plötzlichen Anstieg der Coronavirusinfektionen?
Uwe Melzer: Eine einzige Infektion kann ausreichen, um einen Hotspot entstehen zu lassen. Das ist bei uns passiert. Binnen weniger Tage hatten sich 22 Menschen – 16 Senioren und sechs Mitarbeiter – im Rositzer Pflegeheim infiziert. Zum gleichen Zeitpunkt entstand ein zweiter Hotspot, nämlich bei einem Chor in Altenburg. Hier wurden 26 Sängerinnen und Sänger positiv getestet, zudem weitere An- gehörige der Chormitglieder. Allein diese beiden Brennpunkte haben ausgereicht, um den kritischen Inzidenzwert von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner zu überschreiten. Ich bin froh, dass die Ausbrüche in Rositz und beim Chor jetzt zum Stillstand gekommen sind. Hinzu kommt schließlich ein diffuses Infektionsgeschehen, welches über den gesamten Landkreis verteilt ist und von dem auch sensible Einrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten, Behinderteneinrichtung- en und Betriebe nicht verschont geblieben sind. Wir können von Glück reden, dass sich schwere Infektionsverläufe bei uns im Moment in Grenzen halten.
Wie gut ist das Klinikum Altenburger Land auf einen möglichen Ansturm von Corona-Patienten vorbereitet?
Unser kommunales Klinikum ist auf einen Patientenanstieg gut vorbereitet, verfügt in der Regel über ausreichend Intensivbetten und Schutzausrüstung, über 60 Beatmungsgeräte und natürlich über sehr gut ausgebildetes Personal. Eine separate Station wird für Corona- Verdachtsfälle vorgehalten, ein weiterer Bereich für Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind. Der Schutz der Patienten und Mitarbeiter hat oberste Priorität, deshalb hat die Klinikleitung vor wenigen Tagen auch die Besuchsregelung verschärft. Eins muss man natürlich der Ehrlichkeit halber sagen: Sollte die Lage eskalieren, sollte die Zahl der schweren Covid-19-Verläufe in die Höhe schnellen, ist ab einem gewissen Punkt wohl jedes Klinikum überfordert. Das darf uns nicht passieren. Deshalb aktuell der bundesweite Lockdown, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
Republikweit stoßen immer mehr Gesundheitsämter an ihre Grenzen. Wie stellt sich die Situation aktuell im Altenburger Gesundheitsamt dar?
Die Lage ist angespannt. Im Moment schaffen wir die Arbeit. Noch. Man muss sich vorstellen: Ein positiver Coronafall bringt in der Regel ungefähr zehn Kontakte mit sich, die schnell und akribisch nachverfolgt werden müssen, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Unzählige Telefonate machen sich erforderlich, Personendaten müssen zusammengetragen, Tests angeordnet und ausgewertet, Quarantänen verhängt werden. Es müssen Nachtestungen organisiert werden, immer wieder finden zudem Rücksprachen mit den Patienten zu deren Befinden statt. Maßnahmen müssen eingeleitet werden, wenn es zu Infektionen in sensiblen Ein- richtungen wie in Seniorenheimen kommt. Zudem erwartet das RKI täglich eine pünktliche Meldung der Infektionszahlen. All das ist nur ein kleiner Ausschnitt der derzeitigen Arbeit unseres Gesundheitsamtes. Im Sommer waren im Schnitt drei bis vier Mitarbeiter mit der Kontaktnachverfolgung beschäftigt. Jetzt haben wir auf acht, neun Kollegen aufgestockt. Bereits im Sommer hatten wir uns auf steigende Infektionszahlen vorbereitet und zwei Dutzend Mitarbeiter, die in ganz verschie- denen Bereichen unserer Kreisverwaltung tätig sind, geschult, so dass sie bei Bedarf für die Kontaktnachverfolgung aktiviert werden können. Die ersten sind jetzt zur Unterstützung des Gesundheitsamtes im Einsatz.
Neben dem Gesundheitsamt spielt auch unser Verwaltungsstab eine ganz wichtige Rolle. Der Stab, dem Experten aus der Kreisverwaltung sowie Vertreter der Polizei angehören, kommt zur Lagebeurteilung mehrmals wöchentlich zusammen, um entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung unseres Landkreises zu diskutieren und einzuleiten. Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich als Landrat in dieser schwierigen Zeit viele engagierte und fachkundige Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Partner an meiner Seite weiß.
Werden wir Weihnachten ohne Lockdown und strenge Kontaktbeschränkungen mit unseren Lieben verbringen können?
Das wünsche ich uns allen von ganzem Herzen. Aber bis dahin ist es noch ein harter Weg. Jeder von uns muss derzeit mit Einschränkungen leben. Und dass momentan so viele Menschen bei uns im Landkreis wirtschaftlichen Schaden erleiden, weil sie aufgrund der verordneten Schließungen von Bars, Restaurants, Kinos, Fitnessstudios und dergleichen sowie einem völligen Stillstand der Veranstaltungsbranche wenig bis gar kein Geld verdienen oder mit Kurzarbeitergeld über die Runden kommen müssen, macht mich sehr betroffen. Deshalb ist jetzt Vernunft und Solidarität aller gefragt – damit der Lockdown absehbar beendet werden kann, damit nicht noch mehr Menschen an Covid-19 erkranken oder gar sterben und damit die Lage in den kommenden Wochen nicht außer Kontrolle gerät. Deshalb mein Appell an alle Bürger des Landkreises: Reduzieren Sie Ihre persönlichen Kontakte, wo immer Sie können! Tragen Sie bitte einen Mund-Nase-Schutz! Bleiben Sie so oft es geht zu Hause! Handeln Sie umsichtig und mit Rücksicht auf andere! Es kommt jetzt auf jeden Einzelnen von uns an. Und dann kommen auch wieder bessere Zeiten.